Also dieses Jahr geht der Wechsel von Winter- auf Sommerhalbjahr gefühlt so schnell wie noch nie. Irgendwie war doch eben noch Polarnacht und man war um 14 Uhr bereits so schläfrig, dass man sich ohne Probleme dem Winterschlaf hätte hingeben können. Und in ein paar Tagen soll es schon wieder 24 Stunden hell sein? Wo war das ganze „dazwischen“ um von vollkommen inaktiv auf Sommerturbo umzuschalten. Der späte Winter ist es. Im Januar und Februar war ja von Schnee in ganz Norwegen kaum etwas zu sehen. Er hat sich aufgespart für März und April. Wie großzügig. Jetzt, wo man die weisse Pracht nicht mehr sehen kann, liegt das ganze Land unter einer meterhohen Schneedecke und die bereits verstauten Skihosen und Spikes kann man wieder aus dem Schrank holen. Och neeeee!
Nun ja, es hilft nichts, es sei denn man will frieren oder sich die Knochen auf ungestreuten Strassen brechen. Nichtsdestotrotz: die Mitternachtssonne steht in den Startlöchern und damit die Hoffnung, dass sie den Schnee doch ganz schnell wegschmelzen möge. Svalbard ist natürlich zuerst dran. Ok, ich gönne es der Inselgruppe, schließlich liegt sie auch am längsten im Polarnachtschlaf. Bereits in wenigen Tagen bleibt das Tageslicht für 24 Stunden eingeschaltet. Und da der arktische Sommer hier besonders kurz ist, konzentriert sich alles Aufblühen der Natur und die Vogelbrüterei auf wenige Wochen, wenn die Mitternachtssonne im absoluten Lichtrausch ist. Denn dann steht sie selbst um Mitternacht so am Himmel wie zur Mittagszeit. Zeit für die innere Uhr verrückt zu spielen.

Mitternachtssonne in Kjerringøy, Copyright: Roger Johansen / http://www.nordnorge.com / Bodø
Am Nordrand des Festlands lässt sie sich noch etwas Zeit mit dem Vollmodus, aber auch hier sind die Nächte bereits schon nur noch wenige Stunden lang. Am 11. Mai heisst es dann auch hier: Feuer frei. Von da an arbeitet sich der Dauerhaft-wach-Modus zügig nach Süden. Immer wieder kommt es ja vor, dass der Norwegen-Tourist denkt, die Mitternachtssonne sei eine nächtliche Erscheinung und ist womöglich enttäuscht, dass es sich lediglich darum handelt, dass die Sonne nicht mehr unter den Horizont sinkt. Aber obwohl die Mitternachtssonne für den Norweger im Sommer zum Alltag gehört, ist sie trotzdem auch etwas besonderes. Nach dem langen Winter ist sie der Energiequell, der einen die nächste Polarnacht überstehen lässt. Ein Energievorrat sozusagen. Schon die Rückkehr der Sonne wird ja bereits gefeiert, wenn sie im Frühjahr endlich wieder über den Horizont klettert. Im Sommer feiert der Norweger nicht den konkreten Zeitpunkt, sondern seine überschüssige Aktivität. Es ist wie erwachen aus dem Winterschlaf. Und deshalb schläft der Norweger im Sommer wenig und investiert seine Zeit in alles, was man draussen tun kann.

Vestvagøy, Lofoten, Copyright: Kristin Folsland Olsen / http://www.nordnorge.com / Vestvågøy
Das nennt man in Norwegen wie auch im übrigen Skandinavien Friluftsliv. Also die Norweger frönen der Freude am Draussensein – das meint Friluftsliv – zwar auch in der kalten Jahreszeit, aber im Sommerhalbjahr schalten sie den Turbo ein. Von Beeren pflücken bis angeln, kochen unter freiem Himmel, ausgedehnte Bergtouren, alles, was in der Natur möglich ist, ist Programm. Dabei ist es nicht zu vergleichen mit dem Begriff „Outdoor“, nein, der Norweger hält sich im Sommerhalbjahr wirklich mehr drinnen als draussen auf. Er will nicht nur draussen sporteln, sondern die Natur wirklich erleben. Ganzheitlich. Natürlich geht er trotzdem seiner Arbeit nach, denn ohne Kronen kein Freizeitvergnügen. Aber kaum schlägt die Uhr Feierabend, ist er auch auch schon draussen, macht sein Boot startklar und genießt Fjord und Fjell. Liegt ja schließlich auch alles vor der Haustür. Äußerst praktikabel. Das Schöne daran: es ist förmlich ansteckend. Selbst ich als absoluter Sportmuffel lasse mich regelmässig zu Sport hinreissen, wenn ich dazu die Norwegenlandschaftskulisse bekomme. Aber auch ohne körperliche Ertüchtigung bin ich im Sommer am liebsten draussen, auch da ist Norwegen einfach ansteckend und keiner kann sich diesem Ruf der Natur verweigern.
Fazit: jeder sollte diesem Ruf einmal folgen, aber Vorsicht. Eine Heilung vom Virus gibt es nicht! 🙂 ❤










