Wer länger in Norwegen weilt stellt zweifelsohne ziemlich schnell fest, dass der Norweger nicht nur ein ausgesprochenes Faible für Produkte seines eigenen Landes hat, sondern auch noch allzu gerne an Abstimmungen teilnimmt, was denn das allernorwegischste an Norwegen ist. Radiosender starten in dieser Hinsicht gerne Umfragen zur Wahl des norwegischsten Norwegers, der norwegischsten Musik, dem norwegischsten Essen, dem norwegischsten Ding überhaupt. Als eingewanderter Ausländer neigt man zeitweilig dazu sein Wahrnehmungsvermögen der patriotischen Informationsflut zu entziehen, was aber so gut wie unmöglich ist denn der Norweger lebt die Liebe zu seinem Land konsequent. So schlägt er also bei Abstimmungen zur Benennung des allerallernorwegischsten beherzt Norwegerpulli und dazugehörige Handschuhe vor, den Käsehobel, den Wikinger an sich und Dinge, die nur der Norweger in seinem Herzen trägt. Die Hardangerfidel zum Beispiel.
DAS norwegische Instrument überhaupt, das untrennbar mit norwegischer Musik verbunden ist. Manch norwegischer Tanz kann nur auf ihr gespielt werden, weil sie über die gängigen Saiten hinaus noch über reine Resonanzsaiten verfügt und wer in Norwegen aufgewachsen ist, ist mit dieser Fidel eng verbunden.
Gewinner bei patriotischen Umfragen wird jedoch immer wieder der norwegischste aller Käse: der Geitost – Ziegenmolkenkäse. Ja diese Spezialität ist so eine Wissenschaft für sich. Eigentlich ist er gar kein Käse, sondern nur Käserei-Überbleibsel, nämlich Molke, die in Quader gepresst wird, nachdem sie stundenlang vor sich hin kochen durfte. Und braun ist er auch und deshalb heißt er auch Brunost, also Braunkäse. Und aus Ziege besteht er auch nicht durch und durch, es gibt Varianten mit verschiedenen Anteilen an Kuhmolke, Sahne, Kuh- und Ziegenmilch. Aber egal. Zum Frühstück gepaart mit Johannesbeermarmelade schmeckt er einfach großartig. Brunost ist so ziemlich mein erstes patriotisches Erlebnis, dass mir in Norwegen begegnet ist.
Böse Zungen behaupten ja immer wieder, dass Geitost in der Käsewelt nicht ernst zu nehmen ist, aber der Norweger hält standhaft daran fest. Und findet ihn quasi zu jeder Mahlzeit ideal.
Die norwegische Werbeindustrie schreibt dann auch in weiser Voraussicht gerne auf alles und jedes, was das norwegische Patriotenherz zum Kauf bewegt die Formulierung: „ein Stück Norwegen“! Das animiert den Norweger jederzeit die Kronen kauftechnisch sprudeln zu lassen. Nicht umsonst ist der größte Süßwarenhersteller des Landes nach der norwegischen Göttin Freya benannt. Welch eine Schmach, dass das Unternehmen mittlerweile an Kraft Foods verkauft wurde und dass Kong Haakon Konfekt jetzt in SCHWEDEN hergestellt wird, ein norwegischer Affront…. 😉 Auf den Kvikk Lunsj lässt der Norweger dann allerdings nichts kommen. Das sozusagen norwegische „Kitkat“ gehört zu den beliebtesten Süßigkeiten in Norwegen und ist für neun von zehn Norwegern mit den Eigenschaften „wandern“, „natur“, „sport“ und „fitness“ verbunden. Ein Geniestreich!
Bei Veranstaltungen verziert der Norweger gerne sein essentielles Stück Norwegen – sich selbst. Schon bei den Olympischen Spielen in Lillehammer 1994 trug der Norweger sein Gesicht als lebendige Nationalflagge zur Schau. Gefolgt von Wikingerhelmen und Nationalflaggen in jeder nur erdenklichen Größe.
Allerdings dann kommt der Tag, an dem man jede Entgleisung legeren Patriotismus beiseite schiebt und in Würde seinen Staat feiert. Der 17. Mai! Nationalfeiertag, Tag der Verfassung und Grund für die Norweger in die Bunad, die Nationaltracht zu schlüpfen und dem König zuzuwinken. Die Nationalflagge an diesem Tag aufs Gesicht zu malen: tabu! Ohne nationales Abzeichen an der Kleidung auf die Straße zu gehen: tabu! Leises Fluchen am Abend des 16. Mai, weil die Bunad einen Hauch zu eng geworden ist: allgegenwärtig! Dafür sieht man dann am 17. so ziemlich alle 400 Varianten der Nationaltracht auf einen Haufen. Wo eine Nationalflagge angebracht werden kann wird sie angebracht. Alle Häuser, Straßenbahnen, Blumenläden sind ausgiebig beflaggt. Und „Guten Tag“ wird ausgetauscht mit „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“. Schließlich wird ja auch der Geburtstag der Nation gefeiert. Der Tag der Zukunft der Nation, der Tag der Kinder, Umzüge überall. Wer Gelegenheit hat teilzunehmen, sei es nur als Zuschauer am Rande, sollte es unbedingt tun. Wer Norwegen liebt bewahrt diesen Tag als Erlebnis in seinem Herzen.
Die Königsfamilie winkt drei Stunden tapfer dem Volk zu, es gibt Eis und Limonade bis zum Abwinken, Schulklassen ziehen die Karl Johans Gate bis zum Schloss, Norwegen ist in diesem Tag im Nationaltaumel. Und wo auch immer auf der Welt mehr als zwei Norweger leben tun sie sich am 17. Mai zusammen. Und feiern! Und leben ihren Patriotismus! Und verblüffen ihr Gastvolk! Heya Norge! 🙂
Die Norweger sind Patrioten wie die Franzosen. Finde ich gut
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